Es ist kurz nach sieben, die Sonne steht schon blendend über dem Meer, und ich bin wieder auf der TF-1 unterwegs. Heute früh warten vier Patienten auf mich – zwei im Süden, einer in Golf del sur, und eine Dame in San Isidro, die schon am Telefon meinte: „Tranquila, mi niño, ich laufe ja nicht weg.“
Tranquila.
Ein Wort, das man auf dieser Insel ständig hört – und das mir, ehrlich gesagt, manchmal auf die Nerven geht.
Denn ruhig bleiben fällt schwer, wenn man mit Pflegerucksack, Kühlbox und Blutdruckgerät im Auto sitzt – und der Verkehr wieder mal steht.
Die TF-1 ist für mich so etwas wie ein zweites Büro geworden.
Hier telefoniere ich mit Angehörigen, diktiere Notizen in mein Handy oder höre mir Sprachnachrichten an, die zwischen Windrauschen und Ziegenblöken aufgenommen wurden.
Und doch gibt es Momente, da bleibt mir nichts anderes übrig, als einfach – zu warten.
Am Anfang wollte ich dagegen ankämpfen.
„Ich habe doch Termine!“
„Die Dame braucht ihre Medikamente!“
Aber die Insel hört nicht auf solche Argumente.
Sie antwortet mit Baustellen, Staus und einer Gelassenheit, die einen langsam umprogrammiert.
Nach einer Weile passiert etwas Merkwürdiges:
Ich schaue aus dem Fenster und sehe plötzlich Dinge, die sonst an mir vorbeirauschen – die Glut der Sonne auf den Bananenplantagen, das Meer in der Ferne, einen älteren Mann auf seinem Roller, der seelenruhig lächelt, als wäre er Teil eines geheimen Clubs der Geduldigen.
Da denke ich: Vielleicht hat Teneriffa uns etwas beizubringen.
Wir, die wir immer helfen, planen, rennen – vielleicht sollen wir auch lernen, still zu stehen.
Weil Geduld hier keine Schwäche ist, sondern Teil des Lebensrhythmus.
Wenn ich dann endlich bei meinen Patienten ankomme, mit ein paar Minuten Verspätung und einem tiefen Atemzug mehr, sagen sie meistens:
„Ach, der Verkehr wieder? Kein Problem, querida.“
Und während ich ihren Blutdruck messe, merke ich, dass sie mir das Leben oft genauso zurückgeben, wie ich es ihnen bringen wollte – ein Stück Ruhe, Menschlichkeit, Nähe.
Während man wartet, fällt der Blick plötzlich auf das Meer.
Da ist es, glitzernd, unbeeindruckt vom menschlichen Stress.
Eine Möwe zieht ihre Kreise, ein paar Palmen biegen sich träge im Wind.
Und man fragt sich: Wenn das Meer Zeit hat, warum eigentlich ich nicht?
Vielleicht ist das das Geheimnis dieser Insel:
Sie zwingt uns, langsamer zu werden – ob wir wollen oder nicht.
Die TF-1 ist nicht nur eine Straße, sie ist eine Art Inseltherapie.
Am Ende kommt man ans Ziel, immer. Nur eben im kanarischen Tempo.
Vielleicht ist das die eigentliche Lektion der TF-1:
Man lernt, dass Pflege nicht nur im Tun liegt, sondern manchmal auch im Aushalten.
Im Warten.
Im Atmen.
Im Sein.
„Mein Lektion der Woche“:
Geduld ist kein Stillstand – sie ist nur der Rhythmus des Lebens auf einer Insel, die keine Eile kennt.
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